Die TransSisters haben sich im Frühjahr 1999 zusammengefunden.
Diejenigen, die damals dabei waren, haben sich bei verschiedenen Transgender Events und vor allem in der nicht mehr existenten Transgender Bar "Carolas Treff" kennen gelernt.
Eine kleine Rückschau auf die Gründerzeit von Sabine:
...Wer sich dafür interessiert, kann schnell herausfinden, dass das Leben in Berlin keineswegs so geordnet und gleichförmig abläuft, wie es bei oberflächlicher Betrachtung erscheint. Multi-Kulti als das Zusammenleben unterschiedlichster Kulturen bezeichnet nur leicht sichtbare Ebenen. Eine Stadt dieser Größe und Zusammensetzung bringt selbst auch eigene Kulturelemente hervor. Großzügig wird gelegentlich von einer Szene gesprochen und all zu oft verbirgt sich darunter eine eigene Subkultur. Die Teilmenge einer Kultur, die sich, so wollen es die Soziologen, durch sekundäre Elemente abgrenzt. Schwule, Lesben, Punks, Dauerarbeitslose, Bundespolitiker, Sado-Masochisten, und noch mehr. Alle pflegen eigene kulturelle Elemente, erkennen ihre Zugehörigkeit und besitzen spezifizierte Wertvorstellungen.
Neu im Jahr der Jahrtausendwende, war die neue Sammlung von Menschen mit unterschiedlichen transidenten Ansätzen. Nicht, dass es so etwas noch nicht gegeben hätte. Es gab einige Bars, die mit einer "großen Travestie-Show" warben. Einschlägige Kneipen der Schwulen- und Lesbenszene kannten längst die glitzernden Herren im Ballkleid mit aufgeblasenem Busen oder Frauen mit abgebundenen Brüsten im Maßanzug und angeklebten Bartstoppeln. In so manchen Bars und Kneipen konnte man vereinzelt und auch regelmäßig Transvestiten begegnen. Die Schönen der Nacht. Transvestie-Bälle wurden lange Zeit traditionell veranstaltet und wem das nicht reichte, der konnte an jedem Wochenende einen anderen Ort der Republik anfahren und sich so ausleben. Es gab Selbsthilfegruppen in gemeinnützigen Einrichtungen und private Freundeskreise, die sich gelegentlich als "Ausgehgruppen" bezeichneten. Keiner weiß wirklich, was sich darüber hinaus in den heimischen Wohn- und Schlafzimmern abspielte.
Initiatorin dieser neuen Sammlung war "Carola", kaum jemand kannte ihren männlichen Namen. Sie kam von Irgendwo in die Stadt und verband schon nach kurzer Zeit, die eigene Neigung, wie eine Frau zu leben, mit geschäftlichem Interesse und ganz bestimmt auch missionarischem Eifer. Keine Religion wurde missioniert, mehr der Gedanke, dass jeder Mensch das Recht hat, sich so zu kleiden und zu geben, wie er sich selbst empfindet. Und sei es in der Rolle des anderen Geschlechts.
Mit ihrer Bar, in der unbelebten Littenstraße in der Mitte der Stadt, wandte sie sich an transidente Menschen - der Transgenderbegriff setzte sich erst später durch - fernab von hochpreisigen Clubs, überdrehten Selbstdarstellerinnen mit perfektem Make-up und ohne vordergründig sexuelle Angebote. Neu war auch die Loslösung des Geschehens von der Schwulen- und Lesbenszene. Schwule und Lesben waren nicht ausgeschlossen, doch sie waren auch nicht das ausdrückliche Zielpublikum. Ein ideales Sammelbecken für den kleinen Mann, die kleine Frau, der sich öffentlich in seiner neuen Erscheinung zeigen und auf Gleichgesinnte treffen wollte.
Ein geschützter Raum war es zudem, denn das Motto der Bar war eindeutig. Die Hemmschwelle, vermeintlich unrechte oder zumindest ungewöhnliche Bedürfnisse zu leben, sinkt in dem Maße, wie entsprechende Angebote zunehmen.Wer sich dafür interessierte konnte diesen Ort finden. Sei es über die Mund-zu-Mund-Propaganda, eines der queeren Stadtmagazine oder die allenthalben in der Nähe der Toiletten vieler Gaststätten ausgelegten, postkartengroßen Flyer.
Und so manchen hat es interessiert. Schon die Auftaktveranstaltungen, seit Beginn des Jahres 1999, in einschlägigen Szene-Kneipen, registrierten einen immer größeren Zulauf. Die Abende hatten ein schlichtes und zunächst wirksames Konzept. Eröffnung mit Einbruch der Dunkelheit, persönliche Begrüßung am Eingang, ein Drink am einladend ausladenden Tresen, eine Kleinkunst-Travestiekünstlerin im Playback oder mit kehliger Stimme und dann Party, Party, Party – bis die Morgenstunde die zumeist heimlichen Gäste in sich aufnahm und nach Hause geleitete.
Das Innere dieser Nächte hatte viel differenziertere und schönere Farben. So mancher Gast hatte hierher einen gewaltigen Schritt getan. Vielfältige Heimlichkeiten vor dem häuslichen Spiegel, oder gelegentlich nächtliche verkleidete Spaziergänge durch unbelebte Seitenstraßen wurden durch, in diesem Moment grenzenlos scheinende, Öffentlichkeit gekrönt. Das Alleinsein mit den eigenen Bedürfnissen hatte ein Ende gefunden und Gleichgesinnte gab es zuhauf.
Selbst wer reflektierte, dass sich sein eigenes Abbild weit entfernt befand von Frauen, die wirklich lebten, konnte sich dem Gefühl der eigenen Befreiung nicht entziehen.
Allein der Gedanke, dass sie alle Frauen sein wollten, in Fleisch und Blut, trifft nur die Oberfläche. Gleichgültig welcher Ursache und Motivation bezieht sich das Geschehen auf den Körper und die Gefühlswelt des Transgenders selbst. Andersartige, dem anderen Geschlecht zugeordnete Bekleidung, am eigenen Körper zu spüren, sich selbst in gewisser Weise zu transformieren, verändert die Gefühlslage des Akteurs, lässt Blicke zu, in sein eigenes Ich. Ein ganz besonderes, sehr bewusstes, der eigenen Empfindung entsprechendes Körpergefühl, stellt sich ein. Es erfasst den ganzen Körper und den Geist. Für lange Zeit und in Dimensionen, die nur erfährt, wer sich wirklich darauf einlässt. Nicht jeder wird sich dieser Mechanismen wirklich bewusst und auch in so manchem männlichen Körper lebt tatsächlich die Seele einer Frau.
Die Wirkung des Geschehens war über viele Abende gut sichtbar. Ausgelassenheit war die dominierende Stimmung. Jeder war an jedem Tisch willkommen, eine Ansprache wert und dankbar dafür.
Viele im Raum waren begierig ihre eigene Geschichte zu formulieren und die Geschichten der anderen zu kennen. Gesucht wurden Tipps zu Möglichkeiten des Kleiderkaufs, Schuh- und Perückenläden, Make-up, das auch die Bartstoppeln verdeckt, und all die kleinen Wichtigkeiten, die die neue Frau begierig lernen wollte. Telefonnummern und Mailadressen wurden getauscht, kaum, dass man sich kennen gelernt hatte. Eine große, vereinte Gemeinschaft.
Bei allen Gemeinsamkeiten war das Publikum der Bar bei weitem nicht so homogen, wie es oberflächlich betrachtet erscheinen konnte.
Die Gäste unterschieden sich sichtbar in der Art und Weise, wie sie ihr vordergründiges Anliegen präsentierten. Mondän im Paillettenkleid, bewusst “nuttig” gekleidet, das keine Mädchen dargestellt oder bemüht, einfach fraulich zu erscheinen. Fetische wurden offen vorgeführt. Häufig Strumpf und Straps aber auch überdimensionierte Busen, High Heels und eng geschnürte Korsetts.
Und schließlich unterschieden sie sich nach sozialen Gesichtspunkten und Verhaltensweisen sowie ihrem Bemühen, das eigene Erleben anzunehmen und zu verarbeiten. Am augenfälligsten die Paare, Ehepaare oder auch Freund und Freundin. In aller Regel hielten sie den ganzen Abend aneinander fest und erkundeten gemeinsam die Vielfalt des Geschehens.
Einige Gäste kannten sich schon vor ihrem ersten Besuch in Carolas Treff und hatten bereits einige eigene Erfahrungen gesammelt. Einzelgänger waren dazwischen. Sie suchten nur oberflächlich Kontakt, taten, was in jeder Bar immer wieder passiert, sie tanzten und amüsierten sich. Und doch hatte ein einziges Grundanliegen eine vergleichsweise große Zahl von Menschen zusammengeführt.
Es gab vielfältige Möglichkeiten an Kontakten und Gesprächen. An jedem Abend konnten neue Kontakte geknüpft oder vertieft werden oder bleiben nur oberflächlich interessant. Das Angebot war riesig groß.
Mit öffentlicher Anerkennung findet Individualität ihren Höhepunkt aber häufig auch ihr beginnendes Ende. Keiner konnte jeden kennen und schon gar nicht auf Dauer mögen. So differenzierten sich über wenige Wochen die flüchtigen zu näheren Bekanntschaften.
In einer der größten und wohl auch übermütigsten Gruppen fanden sich gut zehn Anhänger des nächtlichen Treibens. Im Verlaufe von Monaten änderte sich ihre Zusammensetzung, einige ließen sich ganz ohne Begründung nicht wieder sehen, andere kamen hinzu und blieben der Gruppe über Jahre treu. Angestellte und Beamte waren darunter, Studenten und selbständige Kleinunternehmer. Dabei, in unterschiedlicher Häufigkeit und Intensität, mehrere geborene Frauen - Freundinnen und Ehefrauen. Die Gespräche wurden intensiver und auch das gemeinsame Erleben. Die Gruppe etablierte sich als Freundeskreis. Ein Netzwerk entstand, verbunden durch Telefon- und Mailinglisten.
Sooft arbeitsfreie Tage bevorstanden, sooft drehte sich das Verabredungskarussell, um in das wilde nächtliche Treiben einzutauchen. Das Credo der Gruppe war "Bedürfnisse leben und nicht problematisieren!" Und doch kam man sich näher, gab sich gegenseitig Tips zur Perfektionierung des Outfits, sprach über Befindlichkeiten, Sorgen und Probleme mit der neu gelebten Eigenschaft. Die Gemeinsamkeiten bestimmten die Stimmung. Darüber hinaus entwickelten sich Freundschaften, die weit über das gelebte Trans-Sein hinausgingen.
Mit steigender Sicherheit bei der eigenen Herrichtung zur Frau und der Herausbildung individueller Stile, stieg auch das Selbstbewusstsein der Gruppe. Hinzu kam die Erfahrung, dass sich ihre Öffentlichkeit weit weniger problematisch zeigte, als zunächst befürchtet. Schon bald wurde der geschützte Raum in Karolas Bar allein zu eng und gemeinsam das Nachtleben der Stadt erkundet, Theater- und Kinobesuche oder Ausflüge organisiert.
Diese Gruppe gab sich im ausgehenden Sommer 1999 den Namen TransSisters. Alle waren eng verbunden mit einem weiten Umfeld von Freunden und Bekannten, Bestandteil einer neu belebten Szene, einer vielleicht eigenen Subkultur...
So sehe ich den Beginn der TransSisters...
Sabine